Wir sind, was wir werden wollten

7 Fallstudien mit Zeichnungen von Hans Scheuerecker
120 Seiten 19,0 x 13,5 cm
Mit originalen Siebdrucken

Auflage
200 Exemplare

Produktion
Siebdrucke eingeklebt
Buchblock schräg geschnitten
Siebdrucke Trümmel

Bezug
Edition MINOTAURUS im Klaus Bielefeld Verlag, 1999
ISBN 3-932325-95-8
vergriffen

Leseprobe:

Fallstudie 5 – Chancengleichheit

Am 04. August 1998, vormittags 10 Uhr, betritt Andreas Luck das Sozialamt der Stadt C. Im alten, halbdunklen Flur studiert er die Anweisungen für die Bittsteller, füllt anschließend das Anmeldeformular aus und nimmt vor Raum 204, Buchstaben H-L, Platz. Mit ihm warten fünf Männer und drei Frauen zwischen 40 und 55, schwer zu schätzen, die den typischen Mief von Armut, ungelüfteten Wohnungen, fettigem Essen, billigen Zigaretten und Aldi-Bier ausdünsten. In ihrer schwerfälligen Sprache, mehr noch durch Gesten, oft genug ein resigniertes Abwinken, werden Mitteilungen ausgetauscht. Vor anderen Türen auf dem langen Gang warten andere Grüppchen. Fast exakt im Abstand von fünf Minuten leuchtet eine Nummer im Glaskästchen über den Türen auf. Der Aufgerufene geht hinein, kommt nach fünf Minuten wieder heraus, macht den anderen ein Zeichen, einen Gruß vielleicht, und verschwindet im Treppenhaus. Neue Nummern kommen hinzu. Andreas Luck lehnt sich zurück, blickt geradeaus, versucht möglichst wenig zu hören und zu riechen. Nach vierzig Minuten leuchtet im Kästchen seine Wartenummer auf.
Er betritt den Raum. Zwei Schreibtische, einer links, einer rechts von der Tür, dahinter jeweils eine Angestellte, beide um die Fünfzig. Hier riecht es auch schlecht, findet Luck, anders schlecht. „Guten Tag, mein Name ist Andreas Luck, ich komme zu Ihnen, um ….“
„Hierher bitte“, tönt es vom linken Schreibtisch, „nehmen Sie Platz.“ Die dickliche, schwülstig gekleidete Frau überfliegt sein Anmeldeformular. „Sie wollen Sozialhilfe beantragen?“ „Ja. Ich …“ „Ihnen fehlen aber die notwendigen Unterlagen vom Arbeitsamt. Kann ich bitte mal Ihren Ausweis sehen?“ Luck fingert den Ausweis aus der Hemdtasche, reicht ihn hinüber. „Ich muss Sie darauf hinweisen, dass die Gültigkeit dieses Dokuments bereits vor einem halben Jahr abgelaufen ist. Bitte lassen Sie das bei der Meldebehörde in Ordnung bringen.“ Luck zeigt keine Reaktion; sie fügt hinzu: „Wir können Ihren Fall sonst nicht bearbeiten.“ „Hat die Erledigung dieser Formalie Priorität? Wohl kaum. Jedenfalls nicht für mich. Vielmehr möchte ich von Ihnen eine Bestätigung der mir zustehenden Leistungen sowie eine Aussage über die Zahlungsmodalitäten. Auch wenn dies eventuell länger als 5 Minuten dauern sollte.“ Die Frau hinter dem Schreibtisch blickt ihn ungläubig an, vom anderen Schreibtisch zischt es: „Na hören Sie mal.“.
„Ja?“, Luck dreht sich um. „Also“, kommt es von links, „Sie wollen einen Antrag auf Sozialhilfe stellen. Ihre letzte Beschäftigung geben Sie mit Abitur 1989 an.“ „Korrekt.“ „Das ist 9 Jahre her. Und in der ganzen Zeit haben Sie nichts gemacht?“, sie schüttelt den Kopf.
Luck schüttelt auch den Kopf: „Doch, sehr viel sogar. Wenn Sie jedoch Arbeit im Sinne sozialversicherungspflichtiger Tätigkeit meinen, dann nein.“ „Wovon bestreiten Sie denn Ihren Lebensunterhalt?“ „Um Ihnen das zu erklären, muss ich etwas ausholen, wenn Sie gestatten, ich versuche, mich kurz zu fassen.“ „Bitte nur das Wesentliche.“ Luck lehnt sich zurück: „Das Wesentliche … Ich bin Maler. Seit ich denken kann, male ich. Habe im Kindergarten und in der Schule alle möglichen Malzirkel besucht, habe gelernt, was man von Zeichenlehrern lernen kann; als das ausgereizt war, begannen wir mit Freunden zu experimentieren – hielten uns für Avantgarde und glaubten, bedeutende, neue Bilder zu malen. Wir …“ „Ihr Lebensunterhalt, bitte.“ „Entschuldigung. Nach dem Abitur bewarb ich mich an der Hochschule für bildende Künste und wurde, was mir völlig unverständlich war, abgelehnt. Ein Professor empfahl mir, es mit einem Lehrmeister, einem Maler also, außerhalb der Schule zu versuchen. Das tat ich dann.“ „Wovon haben Sie denn nun gelebt?“ „Ich brauch nur wenig. Ein Zimmer, bisschen Essen … Das teuerste sind die Farben. Die bekam ich bei den Malern, bei denen ich bis vor 2 Jahren lernte … und wohnte; dafür habe ich geholfen: Rahmen bespannen, Bilder grundieren, Ausstellungen hängen, Auto fahren – sowas.“ „Aushilfsarbeiten also. Und die letzten beiden Jahre?“ „Nebenbei hab ich immer Eigenes gemalt. Im Frühjahr 1996 überlies mir ein befreundeter Maler die Hälfte einer Kirche, in der er ausstellte, für meine Arbeiten. Keine große Resonanz, aber ein paar Leute interessierten sich dafür. Ein älterer Herr bot für 2 Bilder ein monatliches Stipendium von 500,-Mark für 2 Jahre. Die waren letzten Monat um und mein Gönner ist leider verstorben. Deshalb komme ich zu Ihnen.“ Die Behördenfrau schiebt die Anmeldung von sich: „Bei uns sind sie falsch, junger Mann, Sie müssen zum Arbeitsamt.“ „Ich will aber keine Arbeit, sondern eine geringe finanzielle Unterstützung. Wenn ich richtig informiert bin, stehen mir Wohngeld und 540,-DM zu.“ „Theoretisch. Wenn es für Sie keine Arbeitsmöglichkeit gibt. Und das muss Ihnen das Arbeitsamt bestätigen.“ Luck steht auf :“Und dann kann ich wieder her kommen?“ „Ja. Bevor Sie zum Arbeitsamt gehen, müssen Sie Ihre Papiere in Ordnung bringen.“

Am 04. August 1998, mittags 12 Uhr, betritt Andreas Luck das Einwohnermeldeamt der Stadt C. Im hellen, klimatisierten Flur studiert er die Anweisungen für die Bittsteller, zieht eine Nummer und nimmt vor Raum 131, Meldeangelegenheiten, Platz. Nach 5 Minuten blinkt seine Nummer im Kästchen über dem Warteraum. Im Raum 131 stehen 6 Schreibtische; drei links, drei rechts. Eine Frau um die 30, Seidenbluse, Jackett, sieht ganz nett aus, winkt ihm.
„Guten Tag. Mein Name ist Luck. Ich habe festgestellt, daß die Gültigkeit meines Personalausweises abgelaufen ist. Das möchte ich gern ändern lassen.“ „Nehmen Sie doch bitte Platz, Herr Luck.“ Sie gibt seinen Namen im Computer ein „Wilhelm-Külz-Straße 76, noch richtig?“ „Nein, die gibt’s ja gar nicht mehr … umbenannt. Unabhängig davon, ich wohne jetzt in der Wilhelmstraße 16.“ Sie wendet sich vom Computer ab, ihm zu: „So leid es mir tut, Herr Luck, Sie haben Ihre Meldepflicht hinsichtlich Dokumentenablauf und Wohnungswechsel vernachlässigt, dies stellt eine Ordnungswidrigkeit dar und wird mit einem Ordnungsgeld von 70,-DM belegt.“ Luck zieht die Augenbrauen zusammen: „Wie bitte?“
„Es gehört zu Ihren Pflichten …“ „Ja, ja, weiß ich“, fällt er ihr ins Wort, „aber ich habe mich selbst bei Ihnen gemeldet … mit einer kleinen Verspätung.“ „Es bleibt eine Ordnungswidrigkeit und muß mit 70,-DM geahndet werden. Zuzüglich 30,-DM für den neuen Ausweis, den Sie von uns erhalten.“ Luck rutscht in sich zusammen. „Ohne Ausweis kein Arbeitsamt, keine Stütze; für den Ausweis nehmen Sie mir 100 Mark ab. Eine Falle. Was ist, wenn ich nicht bezahle?“ „Dann bekommen Sie keinen Ausweis, sind in anderen Ämtern ohne Antragsrecht und erhalten, da der Vorgang jetzt aktenkundig ist, per Einschreiben einen Bußgeldbescheid. Der ist dann noch um einiges teurer.“ „Selbst, wenn ich dann keine Miete mehr zahlen kann?“ „Selbst dann.“ Luck nestelt seine letzten 150 Mark aus der Hosentasche und legt 2 Fünfziger auf den Schreibtisch.

Am 04. August 1998, mittags 13 Uhr, betritt Andreas Luck das Arbeitsamt der Stadt C. Im kühlen Vorraum studiert er die Anweisungen für die Bittsteller, zieht eine Nummer und nimmt vor Raum 215, Ungelernte Buchstaben K/L, Platz.
Mit ihm warten fünf Männer. Bis auf einen nervösen Älteren – vielleicht Hausmeister gewesen – alles junge Kerle, die es offensichtlich eilig haben und ungeduldig in Zeitschriften blättern. Nach einer Stunde ist er „Der Nächste bitte“. 2 Schreibtische, links und rechts der Tür. 2 ältere Angestellte. Wenn die sich dazu gelegentlich hinwerfen, geht es Luck durch den Kopf, leiden die neben allen anderen auch noch am Touretteschen Syndrom.
„Guten Tag. Mein Name ist Luck …“ „Zu mir, bitte“ kommt es von links. „Sie sind bereits bei uns gemeldet?“ „Nein“, mit einem kleinen Lachen reicht er seinen Ausweis hinüber, „extra für diesen Anlass erworben.“ Seine Daten werden eingegeben „Herr Luck, Sie sind auf der Suche nach Arbeit?“ „Nein, nein“, er hebt abwehrend die Hände. „Oh, wie können wir Ihnen dann helfen?“ „Ich hätte von Ihnen für’s Sozialamt gerne eine Bestätigung, daß Sie für mich keine zumutbare Arbeit haben.“ „Wie kommen Sie denn darauf?“ „Wenn ich die Nachrichten richtig verfolge, gibt es für knapp 4 Millionen keine Arbeit, warum sollten Sie ausgerechnet für mich welche haben?“ „Sie machen es sich zu einfach …“ „Außerdem bin ich ohne Berufsabschluss, der für Sie verwertbar wäre.“ „Deshalb sind Sie ja hier bei Ungelernt … Im Übrigen steht im Computer bei Ihnen: unterschiedliche Aushilfstätigkeiten.“
„Wie kommt das denn da rein?“ „Eingegeben Sozialamt 04.08.1998.“ „Stimmt, dort war ich vorhin. Die schicken mich zu Ihnen. Wegen dieser Bestätigung.“ „Moment … wir gucken erstmal, was für Ungelernte angeboten wird … Sehen Sie hier …“, sie dreht den Computer zu Luck, „… die Agargenossenschaft in B. sucht Helfer zur Gurkenernte für 14 Tage. Arbeitszeit 06.00-22.00 Uhr, auch am Wochenende.“ „Bis B. sind´s 30 Kilometer. Wie soll ich denn da früh hinkommen und abends zurück … Ich hab kein Auto. Und überhaupt: Was muss ich denn da machen und was zahlen die Bauern?“ „Tja, Herr Luck, besonders attraktiv sind die Angebote für Aushilfskräfte selten. Ich seh hier auch nicht, was es im einzelnen ist. Letztes Jahr haben sie Leute für den Gurkenflieger gesucht. Da liegt man auf dem Bauch, wird übers Feld gefahren und erntet Gurken. Ziemlich anstrengend …“ Luck lacht kurz auf: „Die Androhung – Arbeiten bis zum Umfallen – greift in diesem Fall ins Leere … Und Geld?“
„6,50 DM die Stunde.“ „6.00 bis 22.00 Uhr sind 16 Stunden“, rechnet Luck, „mal 6,50 DM macht 104,00 DM; da könnt ich mir glatt noch’n Ausweis machen lassen. Wie würde ich nun hinkommen?“ „Das kann ich Ihnen nicht sagen… Die meisten Erntehelfer kommen sicher aus Polen… Die schlafen in Zelten in der Nähe der Felder.“ „Gut. Können wir jetzt wieder ernst werden?“ Die Angestellte dreht den Computer zurück und sagt pikiert: „Das war kein Scherz, sondern das einzige uns vorliegende Angebot.“ „Kommen Sie. Wollen Sie mir etwa zumuten auf dem Feld zu schlafen und für 6,50 DM den Gewinn unser sorbischen Gurkenzüchter zu mehren? Wenn’s sein muss, male ich lieber ein Bild für den Speisesaal der LPG …“
„… Agargenossenschaft.“ „… aber keine 16 Stunden.“ „Sie sind Maler?“ „Ja. Und weil ich da weiter kommen will, habe ich keine Zeit Gurken zu ernten … Und zu den Konditionen …“ Die Dame vom Arbeitsamt blickt wieder freundlicher: „Selbst wenn ich das akzeptiere, kann ich Ihnen keine Arbeitslosenunterstützung zahlen. Wer nie arbeiten war, kann auch nicht arbeitslos werden.“ „Klingt logisch und krank. Aber ich will ja nur Sozialhilfe … Und von Ihnen besagten Schein.“ “ Also gut, sollen Sie haben. Vorher muss ich Sie aber noch zu einer mit uns kooperierenden Zeitarbeitsfirma schicken. Von denen brauchen Sie auch eine Bestätigung, dass es keine Arbeit für Sie gibt.“

Am 04. August 1998, nachmittags 15 Uhr, betritt Andreas Luck das City-Büro der Zeitarbeitsfirma Time-Power. Ein großer heller Raum mit sieben oder acht Schreibtischen. Durch das Fenster hatte er zuvor auf einer Tafel gelesen: Wir stellen ein: Rohrleger – E-Schweißer – Elektromechaniker. Keine Ungelernten, stellt er zufrieden fest. Ein Mann um die Vierzig steht hinter seinem Tisch auf und macht eine einladende Geste. „Mein Name ist Loschmann. Was können wir von Time-Power für Sie tun?“ „Angenehm. Luck. Ich komme, um nach Arbeitsmöglichkeiten für Ungelernte zu fragen.“ „Ah – ein Mißverständnis, wir sind die Abteilung für Firmenkunden. Wenn Sie bitte dort hinten zu unserem Herrn Günther gehen würden, er ist für Arbeitnehmer zuständig.“ Herr Günther sieht aus wie Herr Loschmann. „Mein Name ist Günther. Sie suchen bei Time-Power eine Beschäftigung?“ “ Luck. Ja. Aushilfstätigkeiten.“ „Einen Beruf haben Sie nicht erlernt, Herr Luck.“ „Nein“ „Und wo zuletzt gearbeitet?“ „Meistens privat.“ „Hm. Wir vermitteln unsere Arbeitnehmer großenteils an Baufirmen. Momentan werden Hilfskräfte in Bayern und in Schleswig-Holstein benötigt.“
„Ich bin leider ortsgebunden.“ Herr Günther blickt ernst: „Schön, wenn man sich das heutzutage noch leisten kann. Am Ort können wir Ihnen Nachtdienste bei einem Reinigungsunternehmen anbieten.“ „Nachtarbeit ist mir leider zeitlich unmöglich.“ „Dann, muss ich Ihnen sagen, wird es ganz, ganz schwer für Ungelernte etwas zu finden.“ Luck hebt die Schultern: „Tja, Pech gehabt … Können Sie mir das bitte bestätigen?“ Herr Günther scheint persönlich gekränkt: „Ah, daher weht der Wind, Sie wollen keine Arbeit …“ „Wie kommen Sie darauf? Ich arbeite 10 Stunden täglich“ „… ein junger Mann von Ihrer Statur, ungelernt, kann nicht reisen oder nachts arbeiten … und sich dann wundern wenn keiner das große Geld auf dem goldenen Tablett serviert.“ „Die Bescheinigung bitte.“ Luck bekommt ein ausgefülltes Formular. Im Weggehen hört er „… diese Jugend heut …“, dann ist die Tür zu.

Am 05. August 1998, vormittags 10 Uhr, betritt Andreas Luck das Sozialamt der Stadt C. und geht zum Raum 204, Buchstaben H-L .Nach der üblichen Wartezeit steht er wieder vor den Mittfünfzigerin. „Herr Luck? Sie waren doch neulich erst hier.“ „Gestern. Unterdessen habe ich meinen Ausweis in Ordnung bringen lassen und die von Ihnen geforderten Unterlagen besorgt.“ Er reicht die Scheine vom Arbeitslosenamt und Time-Power über den Tisch.
Die Frau hinter dem Schreibtisch blickt kurz auf die Papiere und quittiert mit: „Sie haben´s aber eilig.“ „Und zwar sehr. Ich habe zuletzt vor 2 Tagen gegessen, meine Wohnung wurde mir wegen ausbleibender Miete gekündigt, eigentlich müßte ich schon raus sein …“
„Das kann uns hier nicht interessieren …“, wird er unterbrochen. „… und von dem letzten Geld habe ich den Ausweis bezahlt.“ „Ja. Ordnung muss sein.“ „Und nun?“ „Junger Mann, wenn es wirklich keine Arbeit für Sie gibt und Sie auch keinen Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung haben, können Sie in der Tat Sozialhilfe beziehen.“ Luck lächelt. „Es sei denn“, spricht die Angestellte weiter, „Ihre Eltern sind in der Lage, für die Bestreitung Ihres Lebensunterhaltes aufzukommen.“ „Was?“, Luck springt auf, „Hör’n Sie. Ich wollte noch nie etwas von Ihnen, hab mich immer durchgeschlagen … da können Sie doch jetzt schwerlich meine Eltern …“ „Oder Ihre Geschwister. Falls Sie eine Lebenspartnerin haben, auch die. Zuerst müssen die helfen“ „So!“, Luck blickt eisig. Er zieht eine abgesägte Schrotflinte aus dem Jackett. „Alte Frau, Sie rufen bitte Ihren Chef. Und keinen Alarm, sonst erschieße ich sie beide. Mit diesem schönen Andenken an die russische Armee.“ Die Frau hinter dem Schreibtisch ist aschgrau und stiert Luck mit großen Augen an. Sie greift zum Telefonhörer und wählt. „Ja. Siebert hier. Herr Münch, könnten Sie mal kurz rüber kommen. Ein Klient …“, Luck hebt die Waffe etwas höher, „… kommt hier mit einem Antragsformular, das ich noch nie gesehen habe.“ Es dauert drei Minuten. Luck steht unterdessen hinter der Tür. Die fliegt auf: Ein stämmiger Mann Mitte 40 kommt herein. „Was ist los?“ Die beiden Frauen deuten stumm mit dem Kopf auf Luck. Der hat auf Herrn Münch angelegt. „Ich bin mit den Serviceleistungen Ihres Amtes unzufrieden.“, sagt Luck. Dann deutet er auf den Tisch an der rechten Seite. Die Frau sackt zusammen. „Zur Tür. Von innen abschließen.“ Sie geht, Gesicht immer zu Luck, schließt ab. „Jetzt auf den Schreibtisch und tanzen.“ Er richtet den Lauf auf Herrn Münch: „Hose runterlassen.“ Dann auf Frau Siebert „Auf die Knie. Blas ihm einen.“ „Bitte. Hör’n Sie …“, sagt sie, „wir entschuldigen uns …“. Luck hebt die Flinte auf Augenhöhe. „Los! Blasen! Sie haben Ihre Chance. Versuchen Sie es. Geht ihm keiner ab, werd ich Sie erschießen.“
Bürokraft Siebert fängt an zu heulen und stößt den Kopf zwischen die Beine ihres Chefs.

Ihre Kollegin tanzt auf dem Schreibtisch. Nach 10 Minuten spritzt Herr Münch auf den Teppich und sieht sogar ein bisschen stolz aus. „Jetzt wieder in den Mund.“, dirigiert Luck,“ Ordnung muss sein.“ Frau Siebert schreit auf.

Luck geht auf 1,50 Meter an das Paar heran. Dann schießt er dem Mann in die Brust. Die Kugeln reißen auf diese Entfernung ein großes Loch. Münch fällt über den Schreibtisch. Die Frau, die wegspringen will, treffen Kugeln in den Kopf.

Ihre Kollegin steht auf ihrem Schreibtisch und stammelt: „Warum bloß … warum bloß … Sie haben doch alles gemacht.“
„Das ist der Haken an der Sache“, sagt Luck, „sie hatten ihre Chance und haben alles gegeben. Manchmal ist alles eben zu wenig.“

Am 05. August 1998, vormittags 10.21 Uhr, heulen vor dem Sozialamt in C. die Sirenen.
Andreas Luck hält sich eine abgesägte Schrotflinte an den Kopf.