Schreibstube

Über zehn Jahre hinweg wurden im Cottbuser Stadtmagazin HERMANN monatlich Kolumnen veröffentlicht. Folgend eine kleine Auswahl:

Wir haben es halt gerne bunt …

sagt Walther, der Freund aus Südtirol, aus Unterschiedlichkeit wird Vielfalt und außerdem gehört es sich ja wohl, dass jeder die gleichen Möglichkeiten hat in unser aufgeklärten Gesellschaft. Worüber wir reden? Über ein Thema, das in den nächsten Jahren zunehmend in die öffentliche Wahrnehmung sickern wird, sickern MUSS – über Inklusion. Kurze Erklärung? Etwa eine Milliarde Menschen lebt weltweit mit einer Behinderung, in Deutschland sind es knapp 10 Millionen – also jeder achte. Wir können stolz darauf sein, finde ich, unser Gemeinwesen so gestaltet zu haben, dass der großen Mehrheit von uns klar ist – diese Menschen besitzen die gleichen Rechte wie die „Normalen“ (wer immer das ist – da ringen wir ja schon lange mit einer Definition), gehören dazu, dürfen nicht ausgegrenzt werden.

Leider herrschen in den meisten Ländern noch vordemokratische Gesellschaftsmodelle, die in Frage stellen und oft ablehnen, was hier längst vereinbart: Die Gleichberechtigung von Frauen, Freiheit der Religion oder der sexuellen Präferenzen. Da wird über so etwas weniger nachgedacht. Dennoch fanden sich 40 Staaten, die im Jahr 2006 die UN-Behindertenrechtskonvention beschlossen. In Deutschland wurde der Vertrag im Februar 2009 ratifiziert. Seitdem rollt der Zug. Wohin? Ich zitiere mal eine halbwegs geglückte Beschreibung unseres nationalen Aktionsplanes: „Ziel ist, dass Menschen mit und ohne Behinderungen von Anfang an gemeinsam in allen Lebensbereichen selbstbestimmt leben und zusammenleben. Auf Basis des Grundsatzes gleichberechtigter Teilhabe werden für Menschen mit Behinderungen die gleiche Qualität und der gleiche Standard in den jeweiligen Lebensbereichen erwartet, der auch für Menschen ohne Behinderungen gilt. Es geht um gleichberechtigte Teilhabe am politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben, um Chancengleichheit in der Bildung, um berufliche Integration und um die Aufgabe, allen Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit für einen selbstbestimmten Platz in einer barrierefreien Gesellschaft zu geben. Dies bezieht eine dem individuellen Bedarf und der jeweiligen Lebenssituation angepasste Unterstützungsleistung ein. Wenn wir unsere Welt so organisieren, dass sie für alle Menschen offen, zugänglich und verständlich ist, ändert sich unsere Alltagskultur – angefangen bei der Gestaltung und Beschaffenheit von Alltagsgegenständen über veränderte Vorschriften und Normen bei der Gestaltung unserer Infrastruktur und unserer Medien bis hin zu strukturellen Änderungen etwa im Bildungs-, Gesundheits-, Sozial- oder Verkehrswesen. Noch gravierender aber wird die Weiterentwicklung unserer Vorstellung von Normalität sein: Wir werden im Alltag, in Geschäften und Straßen, im Kindergarten, in der Schule und im Hörsaal, in der Straßenbahn und bei der Arbeit, im Fernsehen, im Kran- kenhaus, im Restaurant und im Schwimmbad Menschen begegnen, die ihr Leben auf der Grundlage unterschiedlichster körperlicher, intellektueller und mentaler Voraussetzungen mit großer Selbstverständlichkeit neben- und miteinander organisieren. Und wir werden dies kaum wahrnehmen, weil es Normalität geworden ist. Unser Bild vom Menschen und vom Leben wandelt sich. Auch unsere Vorstellung davon, was ein geglücktes Leben ausmacht.“

Das ist der Plan. Unsere Welt wird eine andere sein. Jetzt müssen wir nur noch sagen, was das genau heißt und alle dafür gewinnen, die skeptisch sind. Um mal mit dem Feld zu beginnen, das gerade exemplarisch beackert wird – der Auflösung von Förderschulen. Das Land Brandenburg beschloss, an denen keine neuen Schüler/-innen mehr aufzunehmen. Die Kritik schwillt gerade an. Unberechtigt, denn für ihre Besucher sind sie (zumindest berufliche) Sackgassen; ihre Abschlüsse berechtigen nicht zu einer regulären Ausbildung. Bei Walther in Italien sind sie da schon ein Stückchen voran. Dort gibt es seit 30 Jahren keine Förderschulen mehr. Alle lernen in einer Schule. Wie soll das gehen?, ist hier oft zu hören. Es geht. Allerdings, das ist ja klar, müssen die Voraussetzungen dafür geschaffen werden. Räumlich (barrierefrei) wie personell (zusätzliches Personal). Natürlich kostet Inklusion erst einmal Geld. Viel Geld vermutlich. Woanders haben wir das doch auch – und hier sind die Gewinne garantiert.

Was mich etwas unruhig macht: Eine Diskussion, die noch nicht richtig begonnen hat, droht schon wieder ins Negative zu kippen. Statt Chancen werden Verhinderungsgründe gesucht. Hier müssen die Menschen im öffentlichen Raum – u.a. also Politik, Medien, Verwaltung – erklären und begeistern. Am Ende (der Aktionsplan reicht bis ins Jahr 2020) wird nicht alles sein, wie es jetzt die reine Lehre ist. So kann ich mir nur schwer vorstellen, Anträge und Bescheide der Ämter, Verträge der Firmen, in Formulierungen zu lesen, die selbst mir verständlich sind. Wahlweise auch einem Menschen mit Lernbehinderung. Da werden wohl – „Klagesicherheit“ heißt das Zauberwort – aus verständlichen Gründen die Juristen vor sein. Auch die Annahme, Gebärdensprache würde in allen öffentlichen Einrichtungen und letztlich in jedem Betrieb gleichberechtigt benutzt werden können, scheint mir unrealistisch. Aber auf den Weg dahin können wir uns wenigstens machen.

Nun seid doch nicht wieder so ängstlich. Etwas Elan, ein bisschen Optimismus, lacht Walther, dann wird das schon. Und bunt haben, wollt ihr es doch auch ganz gern. Oder? Oder?

Les savants ne sont pas curieux…

das macht doch was her und lässt die Meisten von denen, die nicht gleich weiter geblättert haben und des Französischen wenig mächtig sind, auf Aufklärung hoffen. Die von mir, aber das ist ein anderer Gedankenstrang, zu erwarten, gehört auch zu den Dingen, die nicht zu bekommen sind. Wie wir uns die ja seltsamerweise oft vom Nächsten wünschen. Nun: Die Wissenden sind nicht neugierig. Schrieb Anatole France, der Nobelpreisträger Literatur des Jahres 1921. Eine Erkenntnis, die der Psychoanalytiker Sigmund Freud 1909 zitiert und wohl fehlinterpretiert. Freud beklagt das Desinteresse gerade der Ärzteschaft an seinem bereits 1900 veröffentlichten Buch „Die Traumdeutung“ und unterstellt mangelnden Wissensdurst aus Bösartigkeit. Ich deute den Dichter anders. Wer weiß, wie Ergebnisse – und die allein zählen ja – zustande kommen, dem vergeht irgendwann die Neugier, noch ein Lehrstück, noch einen Beweis geliefert zu bekommen. Dem bleibt dann oft nur, wieder France, die Ironie als letzte Phase der Enttäuschung. Sehr zum Ärger unserer längst vergessenen Marxismus-Leninismus- Lehrer, die uns die Gesetzmäßigkeit des Sieges des Sozialismus einbleuen wollten / sollten, benutzten wir gern den fast vergessenen Kapitalisten Friedrich Engels, der die Geschichte im Großen betrachtend feststellte: „ … was der einzelne will, wird von jedem anderen verhindert, und was herauskommt, ist etwas, das keiner gewollt hat.“ Aber das nebenbei.

Wie ich gerade jetzt wieder auf Anatole France komme? Wie immer im Sommer verließ ich die Stadt für ein paar Tage – etwas Meer, Berge, See, ein anderes Land – und überflog nach der Rückkehr wie immer die Lokalpresse, zu prüfen ob es etwas Neues gibt. Was ein in sich sinnloses Unterfangen ist, lehrt doch die Erfahrung, irgendwas ist immer. Aber im Alter ändert man die Gewohnheiten nur noch unter Zwang und also blätterte ich. Huch, meine erste Reaktion, das ging ja schnell. Wem die galt? Unserer Stadtspitze und deren Abgeordneten (ja, ja – ich weiß schon, dass es formal anders rum ist). Zum einen verblüffte der OB Frank Szymanski mit einem abrupten Schwenk auf die Partei-/ Regierungslinie und ist nun für eine Fusion der hiesigen Universität mit der Senftenberger Fachschule. Sicher, er wird dafür gute Gründe haben. Den Kontrollblick in die Zeitung vom nächsten Tag hätte man sich auch sparen können. Natürlich fordert jetzt unisono die Industrie eine schnelle Entscheidung; sprich die Umsetzung der längst gefallenen. Zum anderen, das ließ mich noch etwas lauter (richtig wäre wahrscheinlich: bitterer) lachen, stimmten die Stadtverordneten in Sondersitzungen ab, bis sie richtig stimmten. Wieder Richtiger: Stimmten ab, bis sie stimmten, wie sie sollten. Für den Ausbau des Spreewaldtunnels auf Gemeinschaftskosten. Das hatten sie vor kurzem in ihrer turnusmäßigen Versammlung mehrheitlich noch abgelehnt. Ebenfalls aus guten Gründen. Schließlich bleibt, wenn ich das aktuelle System richtig verstanden habe, ein marktwirtschaftlich agierendes Unternehmen für den Vertrieb/ Verkauf seiner Produkte zuerst selbst zuständig. Meint: Den Bahnhofstunnel soll die Deutsche Bahn mal schön selber bezahlen. Wir würden unser Geld dann lieber für Kultur, Vereine, Schulen auch Straßen nehmen. Das Argument, mit dem die Abgeordneten zum konformen Stimmverhalten genötigt wurden, nämlich das Land übernähme einen Teil der Kosten, mutet seltsam an. Auch wenn das Land zunehmend auseinander driftet in die gutsituierten Regionen um Berlin und die berlinferne Pampa, Brandenburger sind wir wohl doch noch immer. Wir bestaunen aufs Neue den alten Taschenspielertrick: Hältst Du Dir die linke Tasche zu, greife ich Dir eben in die rechte …

Als ich noch neugierig war, damals, hätte ich gefragt: Woher der Meinungsumschwung? Ein Deal mit dem Großkonzern? Die Unterschriften, die zum Erhalt des Spreewaldtunnels (gegen den ich im Übrigen gar nichts habe; nein – an den ich vielmehr eine Menge von Erinnerungen knüpfe, von nächtlichen Stadtunterquerungen beispielsweise und den ich auch heute regelmäßig benutze; aber zur Not, das heißt: bevor wir unser knappes Geld da verbauen, gehe ich die paar Meter eben außen rum) gesammelt wurden, werdens ja hoffentlich nicht gewesen sein. Dazu passt ein anderer Satz von France: „Wenn 50 Millionen Menschen etwas Dummes sagen, bleibt es trotzdem eine Dummheit.“

Um nicht schon wieder so negativ zu klingen (sein ohnehin nicht): Es gibt auch positive Ergebnisse, von denen man lieber nicht wissen will, wie sie zustande gekommen. Am 24. September wird am Familienhaus im Puschkinpark Baubeginn gefeiert. Da ist öffentliches Geld gut angelegt. Weiß er allerdings, dass das baufällige Gebäude, bereits im Jahr 2007 von der Stadt an den Betreiber für vergleichsweise viel Geld verkauft wurde, ahnt der Kenner, was auf dem Weg für Steine gelegen haben könnten.

Egal. Der gute Anatole hat es womöglich doch ganz anders gemeint und so benutze ich ihn nicht weiter, sondern abschließend ein anderes Dichterwort: „Wenn wir schon eine alte Geschichte erzählen, dann doch bitte die ganze.“ Und widerspreche auch dem sofort. Wozu? Die Ergebnisse zählen.

Wenn Du merkst, das Pferd auf dem Du reitest …

… ist tot – steig ab. Freund Wolfgang kennt den alten Indianerspruch und beherzigt ihn. Nach 14 Jahren im spanischen Asyl stand er neulich unerwartet vor der Tür. Ja, sagte er, da greifen langsam die Sparpakete. Keine Chance mehr, sich durchzuschlagen. Wir kennen uns lange und daher nahm er mir die Antwort: „Wär doch auch unverschämt, eine Truppe sonnenhungriger europäischer Glücksritter am kanarischen Strand weiter durchzufüttern, wenn die Hälfte der eigenen Jugendlichen arbeitslos ist und nicht recht weiß, wovon sie leben soll.“ nicht übel. Komm, ich war, wie Du weißt, zwischendurch gelegentlich arbeiten. Hab sogar in die Sozialsysteme eingezahlt. Aber egal. Jetzt bin ich wieder hier. Hat sich groß was geändert?

 Tja. Die einen sagen so, die andern so. Nun, zu den globalen Entwicklungen brauche ich Dir wohl wenig erzählen, die Welt ist nach dem 11.09.2001, nach dem heimlichen Staatsstreich der Finanzwirtschaft und – etwas erfreulicher – mit dem Internet ja überall eine andere.

 In Deutschland haben wir just als Du hier alles stehen und liegen ließest, 1998 – mein Gott wie lange ist das her – den ewigen Kohl abgewählt und uns voller Erwartung auf eine Rot-Grüne-Regierung gefreut. So toll lief es dann nicht. Die Arbeitslosenzahlen stiegen ständig, die produzierende Industrie wurde von all den Experten abgeschrieben, es hieß, wir müssten eine Finanz- und Dienstleistungsgesellschaft werden. Kranker Mann Europas wurde das Land geschimpft. Kanzler Schröder ließ sich gut beraten und griff die Ursachen an. Agenda 2010 hieß das Programm, von dem sich heute alle einig sind, dass es Deutschlands jetzige Stärke möglich macht. Was denen, die es machten nichts half – sie wurden von den eigenen Gefolgsleuten aus der Regierung gemobbt. Jetzt regiert die CDU schon wieder seit 2005 und es wird Zeit für einen Wechsel. Ansonsten – Fußball geht immer. Bei der WM 98 flogen wir ja im Viertelfinale gegen Kroatien als Europameister raus. Mit Berti Vogts als Trainer und dem reanimierten Loddar Matthäus. Da war die Stimmung schlecht. Die ist nun besser, selbst wenn seitdem am Ende immer andere gewannen. Bei der tollen WM hier im Lande beispielsweise die Italiener. Was sonst? Den Atomstrom schalten wir ab, Du wirst es an den Preisen merken. Reformen gab es all die Jahre, im Bund und in den Ländern – da am liebsten jährlich im Bildungswesen. Wehrpflicht und Zivildienst sind abgeschafft.

 Brandenburg wird immer noch ohne Fortune von der SPD regiert, gerade mit der PDS. Die großen Projekte gehen wie üblich schief. Aktuell wird gerne hämisch Walter Ulbrichts Fistelstimme imitiert: „Niemand hat die Absicht, hier einen Flughafen zu errichten.“ Aber der kommt, wie die Mauer und hält hoffentlich länger. Es dauert hier eben manchmal etwas. Die Arbeitslosenquote auf 10 Prozent zu senken, war das Wahlversprechen Manfred Stolpes bei den Landtagswahlen 1999, jetzt immerhin haben wir diese Quote. Das hat zwei Ursachen. Zum einen, dass es immer weniger gibt, die arbeiten können/ müssen; zum anderen, dass im berlinnahen Raum tatsächlich neue Arbeitsplätze entstehen. Was die immer schon vorhandene Spaltung des Landes in Berlinnah und – fern, meint in prosperierend und abgehängt, weiter voran treibt.

 Bei abgehängt. Das ist Cottbus nicht, es fahren schließlich weiter Züge. Bei Deinen Gängen durch die Stadt wirst Du sehen: Sie ist schöner geworden und steht schlechter da als 98. Wurde viel gebaut und viel falsch gemacht. Die Stadtfinanzen ruiniert, weil Großprojekte – da sind wir ganz Brandenburg im Kleinen – mit beängstigender Regelmäßig- wie Überheblichkeit verdorben wurden. Schmellwitz und Sachsendorf lösen sich langsam auf, die Innenstadt gesundet, obwohl Teile der ehemaligen Stadtpromenade – Bowlingzentrum, Plattenladen, Galerie – Du erinnerst Dich?- gerade eine Bauinvestruine sind. Nazis haben wir alte und neue, neuerdings sogar gewählt im Stadtparlament. Und Linke wie Bürgerliche, die sich ihnen entgegen stellen. Theater, Gladhouse, Kunstsammlungen – die haben einen wunderbaren neuen Ort und nun endlich sogar eine neue Chefin – gibt es noch. Auch Kneipen von damals: Die Marie, das Zelig, Horschte, Stadt Dresden, selbst Schweins. Ein paar neue wie das Edelweiß, die Sushi-Bar um die Ecke, das Scandale sind dazu gekommen. Andere haben leider oder manchmal bloß gut geschlossen: Armando, Erna, Grubenlampe, Fichteplatz … Unser Klub, in dem wir einst so oft die FDJ und den Durst besiegt, ist abgerissen.

 Die Galerie Eva Blobel, in der wir, kurz nachdem Du Dich absentiertest, mit Hans Scheuerecker unser erstes gemeinsames Buch vorstellten, gibt es leider nicht mehr. Die jährlichen Buchproduktionen – und präsentationen allerdings immer noch, auch dieses Jahr. Ansonsten: Die Kinder wurden groß, der Hang zum Pokulieren ist geblieben, wie der zum Widerspruch … So weit ein grober Überblick. Du wirst Dir ja sicher Arbeit suchen. Bis dahin spendieren wir eine warme Wohnung und 374 Euro monatlich in bar. Mensch, da hätte ich doch schon viel eher wieder her kommen können, selbst wenn´s etwas an Sonne fehlt. Im Prinzip also, sagt Wolfgang, alles beim Alten. Na ja … So kann man´s auch sehen.

Der Irrsinn ist unter uns …

und machen nur genügend mit, wird er als das Normale akzeptiert. Ich weiß, Ende Februar sollte ich an dieser Stelle etwas zu den wichtigen Dingen schreiben. Zum Volksaufstand in Ägypten beispielsweise im Großen oder zur kulturellen Spardiskussion im Örtlichen. Leider weiß ich beides nicht richtig zu deuten. „Wir Araber lieben den Tod, die Juden das Leben“, plärrt, fuchtelt halsdurchschneidend ein Muslimbruder in die Kameras. Dem hätte ich seinen Mubarak noch ein Weilchen gegönnt. Allen Vernünftigen, die gegen den gekämpft, sei Demokratie gewünscht, die Freiheit zuerst natürlich. Hoffen wir, die setzen sich durch. Und hier? Öffnet ein ungewohnt teures Kinder- und Jugendtheater während das Richtige aufgrund fehlender Gelder (waren es dreihunderttausend Euro im Jahr?) von … – ja von wem eigentlich; geoutet hat sich öffentlich noch niemand – zur Disposition gestellt wird.

Aber das sind gerade nicht meine Themen. Schließlich kreisen wir (fast) alle ausschließlich um uns selbst, hat, was anderen geschieht Wichtigkeit nur in Bezug auf uns. Mir passiert dies: Ich sitze mal wieder vor Gericht. Beruflich, nicht privat. Was durchaus die angenehmere Variante ist. Eine ehemalige Mitarbeiterin, deren auslaufenden Vertrag ich wegen offenkundiger Bewegungsallergie nicht verlängerte, klagt – auf Bezahlung ihrer Überstunden. Ich dachte eigentlich, ich hätte bei ihr noch etwas gut… Na ja. Das sind so unterschiedliche Wahrnehmungen. Gefordert werden 750 Euro. Gänge es nicht um Prinzipielles (Unduldbarkeit von Unverschämtheiten), sollte man wutschnaubend zahlen. Denn ab hier – hat sich die Maschine in Bewegung gesetzt – wird es fortlaufend teurer. Für uns alle, also den Steuerzahler, soundso. Für den Beklagten meistens auch. Wir alle zahlen die Richterin, Gerichtsdiener wie – assistenten, -sekretäre. Die jedenfalls leben gut davon, könnten allerdings in der bezahlten Zeit sicher was Sinnvolles tun – Gewalttäter im zeitlichen Zusammenhang zu ihrer Tat aburteilen beispielsweise. Nicht am Arbeitsgericht – natürlich. Doch bitte keine Spitzfindigkeiten. Die bleiben den Einzigen vorbehalten, die in jedem Verfahren gewinnen: Den Rechtsanwälten. Müsste ihren die Klägerin selbst bezahlen –nie würde sie klagen. Das Zauberwort heißt: Prozesskostenhilfe. Wir oder – wenn es für den schlecht läuft- der Beklagte, zahlen jedem Winkeladvokaten Unterhalt, fängt der sich nur genügend Arme, die gegen ihren ehemaligen Arbeitgeber, die Nachbarn oder den Staat (sehr beliebt hier die Sozialgesetzgebung, u.a. Hartz IV) prozessieren. Egal wie aussichtslos das Begehren ist. „Der Antrag hat hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist auch nicht mutwillig.“, muss der Schmarotzer schreiben und schon ist er am Futtertrog.

Wird man täglich mit so Kleinkram geplagt, ist es verständlich, finde ich, sich mal ein großzügigeres Verfahren zu gönnen. Übertreibung verdeutlicht und so lud sich unser Cottbuser Gericht im Januar gleich 230 Zeugen. Aus Schwaben. Dahin hatte ein hiesiger Jungkrimineller ebensoviel Briefe geschickt. Gefälschte GEZ-Schreiben mit einer Forderung von 115 Euro. Da mach ich mir schon Sorgen um die Allgemeinbildung des Delinquenten. Ausgerechnet nach Schwaben. Drei zahlten. Der Schaden beträgt also 345 Euro. Zweihundert zeigten ihn an und mussten nun die weite Reise nach Cottbus antreten. Durch uns zu erstattende Reisekosten: 70.000 Euro. Muss das sein? Nein. Und wenn man mir zehnmal die gesetzlichen Vorschriften zeigt, die´s notwendig machen. Dann ändert sie.

Wie die Bedienungszeiten unseres Bürgerbüros … um bei Unverständlichem zu bleiben. Da kommen doch tatsächlich in den Ferien mehr Auftraggeber (Kunden ist so falsch wie die intern gefühlte Bezeichnung: Bittsteller) als sonst. Weil die Belegschaft gerade jetzt kollektiv im Urlaub ist, kommt es zu Wartezeiten, die sich nicht einmal mit einem ausgedehnten Kneipenbesuch überbrücken lassen. Entzerrung von Aufgabenbereichen, Dokumentenausgabe nach Terminvereinbarung per E-Mail – scheint in all den klugen Papieren zur Neuorganisation (die seit 1990 regelmäßig gegen gutes Geld verfasst werden) keine Option zu sein. Der eher pragmatische Ansatz der Wartenden: Dann setzt doch welche aus der Verwaltung hin, die gerade nischt zu tun haben, (Schulsozialarbeiter z.B. auch wenn die gleich ihren Lehrern gern der falschen Annahme unterliegen, die Ferienzeit mit jährlich 57 Tagen, an denen sich kein zu betreuender Schüler freiwillig blicken lässt, wäre gleich Urlaubszeit – 30 Tage), lesen und stempeln werden sie ja können…, stößt auf behördliches Unverständnis. Das sind doch hoch komplexe Tätigkeiten.

Um nicht ganz ins Pessimistische zu geraten, sollte man mit einem Anflug von Hoffnung, Vernunft, Optimismus schließen. Was nach einem Beginn mit Irrsinn stilistisch etwas schwierig ist. Doch … Doch es gibt welche, die sich dem entgegen stellen. Als am 15. Februar zweihundert Nazis durch die Stadt zogen, kamen tausend Bürger zusammen, darob ihre Abscheu zu demonstrieren. Wir lassen hier außen vor, wo die restlichen 99 Prozent der Einwohner waren und wo die sechstausend Studenten und sagen: Danke.

Die Partei, die Partei, die hat immer Recht! …

Und, Genossen, es bleibe dabei; denn wer kämpft für das Recht, der hat immer Recht. So, aus Leninschem Geist, wächst, von Stalin geschweißt, die Partei – die Partei – die Partei – textete der tschechische Kommunist Louis Fürnberg 1950 und bläute man uns später, ohne den zwischendurch offiziell abhanden gekommenen Stalin allerdings, kräftig ein. Sie hat immer Recht und ist vor allem überall. In den Büros, Betrieben, Kulturhäusern, Kasernen, Wohnbezirksausschüssen … überall, insbesondere da, wo der Bürger womöglich eigene Ideen oder gar Widerspruch entwickeln, unnormiert sein könnte.

Als wir ihnen 1989/ 90 die Zone und (vorüber gehend?) die Macht weg nahmen, schimpften sie heftigst, blieben aber –wo geduldet- trotzdem hocken. Plötzlich Dienstleister für den Bürger und in Angst vor dem. Von dem Jahr der Anarchie – 1990, die alte Ordnung verschwunden, die neue noch nicht da – gar nicht erst zu schwärmen … Selbst 1992 kam noch ganz gut. Da maßten sich im Cottbuser Ordnungsamt im lieb gewonnenen Verharrende an, zu bestimmen, wie lange die Lokale öffnen. Bis 24 Uhr, maximal. Jede Stunde länger gegen 10 DM und Antrag – bei ihnen selbstverständlich. Das korrespondierte mit der von mir betriebenen „Marie“ – heut wie damals ein guter Ort für Nächte wie Seide – wenig. Um diese Zeit wurde die Bande, sorry- die werte Kundschaft – ja erst richtig munter. Ich wurde also einbestellt und bekam im Amt eröffnet: „Zum wiederholten Mal verstießen Sie gegen die Öffnungszeitenverordnung. Des Weiteren weigerten Sie sich, der Forderung unserer Mitarbeiter nach sofortiger Schließung nachzukommen. Um 05 Uhr! Und animierten sie, offenbar selbst in betrunkenen Zustand, zum Genuss von Alkohol. Im Wiederholungsfall werden wir Ihnen die Gewerbeerlaubnis entziehen.“ Ich tat, was sonst Behörden so gern tun und erteilte ihnen Bescheid: Ihr könnt mich mal… bzw. um korrekt zu sein, was ich immer bin, Sie können mich mal… . Konnten sie bald darauf wirklich. Landesrecht bricht Kommunalrecht. Vernünftige in Potsdam untersagten den Unfug und schafften die Schließzeiten, u.a. weil es in Berlin keine gab, auch in Brandenburg ab.

Ein paar Jahre dachte man, die haben wir kirre gemacht. Leider ein Fehlschluss. Gestärkt durch Gleichgesinnte aus dem Westen und allzu oft den Beamtenstatus rappelte sich der ostdeutsche Amtsschimmel wieder auf. Keine neue Taktik. Bei Sturm: Kopf runter in die Furche, wieder aufgetaucht, ist der vorbei. So hielten sie es schon im Auswärtigen Amt der ehemaligen Bundesrepublik. Da besetzten (ehemalige) Nazis 65 Prozent der Leitungsstellen und behaupteten erfolgreich, früher, im Dritten Reich, nur ihre Pflicht getan, ja eigentlich auch Widerstand geleistet zu haben. Diese Legende trieb seinen Diplomaten erst Außenminister Joschka Fischer aus. 2005 – durch eine Studie unabhängiger Historiker.

Uns jedenfalls dämmerte spätestens 1994/95, dass die Bürokraten wieder fest im Sattel / Sessel sitzen. Egal ob DDR-kontaminiert, zugezogen oder frisch ausgebildet. Natürlich fällt Willkür in der Demokratie schwieriger als in der Diktatur, wird gedämpft durch freie Medien, Gerichte; doch auch die Neuen verwalten fröhlich vor sich hin. Beispiele? Drei von endlos vielen.

Aktuell: Verbraucherministerin Aigner freut sich „Es läuft alles wunderbar…“ – weil sie sich an die (eignen) Vorschriften gehalten und alle möglichen Gremien, Ausschüsse einberufen hat. Dass das dem Verbraucher wenig hilft und ihn noch weniger vor Dioxineiern –oder fleisch schützt, spielt in dieser Logik eine marginale Rolle.

Etwas älter: 2003 arbeiteten einige Lehrer für mich. Bei der Abrechnung fiel mir auf, dass die verbeamteten Lehrkräfte gleich viel bekommen wie aber weniger kosten als ihre angestellten Kollegen. Jeder 10.000 Euro jährlich. Auf meine Nachfrage: Wie das? Antworteten die Ministerien für Bildung und Finanzen: „So ist es geregelt.“ Ah ha. Zur Erklärung: Beamte zahlen keine Rentenversicherung. Ihre Pensionen kommen aus dem Landeshaushalt. Nächste Frage: Werden dafür Rückstellungen gebildet? „Nein. Das ist gesetzlich nicht möglich.“ Natürlich wäre es das. Irgendjemand muss sich den Schwachsinn ja ausgedacht haben und also auch in der Lage sein, ihn wieder zu kassieren … Wir aber lassen alles für die Kinder liegen.

Noch mal ins Jetzt: Ex-Minister Speer (den ich immer mochte, bis er es letztlich übertrieben hat – für seine Kinder keinen Unterhalt zu zahlen, ist unanständig) geht mit 51 und einer üppigen Rente in den Ruhestand – alles rechtens… Natürlich. Für sich selbst sorgen sie stets. Nicht aber für die, die die realen Aufgaben erledigen. Bauämter quälen Menschen die bauen, Denkmalschützer drangsalieren Eigentümer, die Denkmale tatsächlich schützen, Jugendämter verhöhnen freie Träger, die deren gesetzliche Verpflichtungen übernehmen… Ich könnte weit länger klagen…

Freund Jussuf sagt neulich, als er mich durch sein Kairo führt. „Nun krieg Dich mal wieder ein.“, und zeigt auf ein monumentales Behördengebäude. „Wir in Ägypten hatten zweitausend Jahre mehr Zeit als ihr Deutschen, eine sich selbst genügende Bürokratie zu entwickeln. Da gehen wirklich Leute rein und kommen nach Monaten ohne Ergebnis raus.“

So sieht’s aus. Am Ende siegt meistens der Apparat. Doch wenigstens den Humor behalten wir und stimmen gemeinsam ein Liedchen an: Die Verwaltung, die Verwaltung, die hat immer Recht…

Die Laune ist besser als die Lage …

rechtfertigten wir uns in den Achtzigern, als Freunde aus Berlin (Ost wie West) sich ganz sicher waren: In dem Nest kann doch keiner mehr leben. Höchste Stasidichte, Tagebauprolls in ihren Plattenbaughettos höhnen: „Ich bin Arbeiter! Wer ist mehr?“, Kultur wo nötig verboten, Flüsse, Wald vergiftet, was an Bauten schön verfällt …
Ach, sagten wir, es geht schon. Unsere Musik spielt immer laut.

Ja, das waren noch Zeiten, als wir sorglos verzweifelt durch Träume, Biografien pflügten. Eigene wie fremde. Wunderbar rücksichtslos. Katastrophen laufend, Verluste täglich – aufgehoben zum später buchen. Das taten wir unterdessen und lernten: Immer schon vorher zu wissen, wie es ausgeht, das Spiel, schützt weder vor Wiederholung noch den Folgen. Ich beispielsweise hatte mir im Oktober an dieser Stelle einen kräftigen Novemberblues vorher gesagt. Dass er soo heftig wird, sooo lange dauert und sooo viel Anlass für Trübsinn, Depression bietet wie mir bis hierher, hätte ich dann doch nicht erwartet. Der Fluch einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung – vielleicht. Man sucht darauf – wir hatten das hier schon – Linderung bei den Giften, der Medizin, die noch nie geholfen oder – um ehrlich zu sein – nur kurzfristig oder aber in einer Konzentration genommen werden müssen, bei der schließlich auch egal was drinnen, draußen gar geschieht.

Mich beruhigt in einer solchen Phase gelegentlich die Beschäftigung mit dem Unfug der Anderen. Klingt seltsam, ist aber so und hilft – mir jedenfalls. Da finde ich es immer wieder tröstlich, taucht auf dem Weg nach Berlin hinter Freiwalde die imposante Fassade des heutigen „Tropical Island“ auf. „Europas größte tropische Urlaubswelt“. Mal abgesehen von der persönlichen Geschmacksfrage, ob man Urlaub in den Tropen machen will wo gar keine sind und der ökologischen Sinnhaftigkeit der Unternehmung (eine – eigentlich gesetzlich vorgeschriebene – Prüfung der Umweltverträglichkeit für die jetzige Nutzung gibt es, zumindest für die Öffentlichkeit, nicht); die Besitzer aus Malaysia und Singapur behandeln das Land Brandenburg wesentlich schonender als ihre Vorgänger. Rund 30 Millionen Euro sollen als Zuschuss aus öffentlichen Mitteln bisher geflossen sein für den Erwerb und Betrieb der weltweit größten freitragenden Halle. Als solche – unter der klangvollen Bezeichnung „Aerium“ – wurde sie für den Bau von Luftschiffen durch die CargoLifter AG errichtet. Bausumme: 78 Millionen Euro, davon über 40 Millionen aus Mitteln des Landes Brandenburg. Der Kaufpreis für die Nachnutzer betrug dann noch ein Viertel der Baukosten. 17,5 Millionen. Was mich daran amüsiert respektive tröstet? Die Nerven muss man erst einmal haben: Sich von den Brandenburgern unter Vorspielung „nachhaltiger“ Prosperität den Bau einer solchen landschaftsprägenden Halle bezahlen lassen und sie nach Ausweidung des eigenen Unternehmens (den ehemaligen Aktionären kamen auch 300 Millionen abhanden) mit dem Klopper sitzen lassen. Dafür braucht es eine andere Konstitution als unsere, die schon an ein paar grauen Tagen, ein paar schwarzen Stunden schwer zu kämpfen hat.

Auch Empirie und Statistik können helfen. Einer von 96 Deutschen wird das anbrechende Jahr 2011 nicht überstehen. Wenn ich so in die Runde schaue, klingt das persönlich weniger bedrohlich als ein Standardspruch der eingangs erwähnten 80-iger: „Einer von 10 hört mit…“. Mehr bedenkenswerte Zahlen? In Brandenburg gibt es 110.000 legale, registrierte Schusswaffen bei 29.000 Privatpersonen, also Sportschützen oder Jägern etwa. In Berlin sind es 56.000 Pistolen und Gewehre bei 19.300 Haltern. Eingedenk der Tatsache, dass in Berlin mehr als doppelt so viele Menschen leben, drängt sich der Schluss auf, dass der Märker im Zuge demografischer Ausdünnung, Polizeireform und Wolfsbesiedlung zur Selbstverteidigung rüstet.

Noch mehr Zahlen? Es sind ja allerlei Studien im Umlauf. Immer und zuerst natürlich um ihre Verfasser zu ernähren. Im Idealfall haben sie für den Rest auch noch einen Nutzen und sagen uns zum Beispiel, wo es sich in Zukunft in Deutschland besser, wo schlechter leben lässt. Ein aktuelles Städteranking der WirtschaftsWoche bewertet die 100 größten kreisfreien Städte danach und stuft Cottbus auf Platz 76 ein. Was so viel heißt wie: Nichts als weg. Vermutlich, nein: Sicher, hat sie Recht. Vergreisung, intellektueller Aderlass, marodes Schulwesen (wir gehören zu den zehn Kommunen, mit dem höchsten Anteil von Schülern die ihre Schule ohne Abschluss verlassen), pleite sind wir soundso – mit allen absehbaren Folgen für städtisches Leben, Kultur; der letzte verbliebene Großkonzern (Vattenfall) löst sich in der Region gerade selber auf bzw. wird von seinem Eigentümer aufgelöst, dem die Ökobilanz der Lausitz möglicherweise wichtiger ist als den Lausitzern.

Wer will findet bestimmt plausible Gründe, die Flucht zu ergreifen. Aber das, da sind wir wieder beim Beginn, war auch vor dreißig Jahren schon so. Und wie damals gilt: Wenn wir uns richtig konzentrieren, gern an den trägen Tagen zum Jahreswechsel, uns ausruhen, und zwar nicht unter der Prämisse wovon sondern wofür, dann wird auch in diesem Jahr die Laune wieder besser sein als die Lage.

Alles eine Frage des Maßes …

… für die einen ist es längst voll, für andere noch lange nicht. Exemplarisch zu beobachten an der Theateraufführung „Pücklers Utopia“, die das Stadtgespräch ganz wunderbar auflockert. Kunst müssen wir nicht verteidigen, ich versuche es stattdessen mal mit dem unglücklichen Lokalpolitiker, der die Inszenierung vor dem Kulturausschuss prüfen wollte. Der hatte erst einmal Druck der örtlich Anwesenden und dachte vielleicht, denen was Gutes tun zu sollen. Den verschmähten Librettisten, Experten, Regisseuren, die den lukrativen Auftrag gern unter sich aufgeteilt, den plötzlich zur Arbeit gezwungenen Theaterleuten, die maulen: „Der Kresnik kriegt alles was er will…“. Was übrigens nicht stimmt. Kresnik, der weiß: Verlange Unmögliches, dann bekommst Du das Mögliche, wollte einen Elefanten auf der Bühne. Und prinzipiell hat er Recht, unser Kulturpolitiker. Natürlich sollen die dafür Abgeordneten hinschauen, was mit unserem Geld geschieht, schließlich sponsert die hochverschuldete Stadt Cottbus die Brandenburgische Kulturstiftung (bestehend aus Theater und Kunstmuseum) in diesem Jahr mit 4.816.000,- Euro. Falsch ist allerdings der Blick aufs Detail, nur das Gesamtergebnis zählt. Bei dessen Bewertung sollte man nicht zuerst diejenigen argwöhnisch befragen, die mit unserem Geld etwas machen, sondern die, die – ebenfalls auskömmlich gefördert- weniger tun. Das Kunstmuseum Dieselkraftwerk (dkw) beispielsweise scheint sich nach einer guten Ausstellung und zwei, drei Musik- und Tanzdarbietungen (die die Arbeitszeit des Personals ganz ungewohnt bis in den frühen Abend verschoben) gerade auf den Winterschlaf vorzubereiten. Veranstaltungshöhepunkt im Dezember ist eine Führung durch eine Plakatausstellung, die kaum jemand interessiert. Interessieren kann. Was dem Wunsch der klammen Kommune, die gerade genannten 5 Millionen Euro ab 2012 dem Land über zu helfen, sicher nicht förderlich ist. Ich stelle mir da die ehemalige Stadtverordnete Martina Münch sozusagen im Gespräch mit sich selbst als nunmehr zuständige Ministerin vor: „ Das Staatstheater – wenn es sein muss – Ja. Aber das dkw? Hat doch keine landesweite Ausstrahlung. Soll die Stadt mal schön selber zahlen.“ Bleibt also das Regionale. Da dürfen Thomas Kläber und Hans-Georg Wagner Weihnachtsgeschenke im Umgang des Maschinenhauses anbieten, bekommt Hans Scheuerecker nächstes Jahr zu seinem 60igsten womöglich sogar richtige Ausstellungsfläche. Dürftig. Was sicher auch damit zu tun hat, dass die Chefin des Hauses – und es stinkt ja immer vom Kopf her – seit Jahren kaum ein (Cottbuser) Atelier besucht.

Gleich noch ein Prüfauftrag? Die Stadtverwaltung (also Frank Szymanski nach einer Belehrung des Sparkassen- und Energiechefs Uli Lepsch) und damit sicher demnächst auch die Stadtverordnetenversammlung will unser Fußballstadion an den FC Energie verkaufen. Gute Idee, die nutzens ja schließlich. Aber warum für 2 Millionen? Investiert hat die Stadt, haben wir in den letzten Jahren ein Vielfaches davon. Wer genaue Zahlen haben will, darf auf 1.144 Seiten in der „Haushaltssatzung mit doppischen Produkthaushaltsplan für das HH-Jahr 2010“ nachschauen. Über den Daumen darf man anders rechnen. Gemeinnützige Vereine bezahlen für die Nutzung einer Turnhalle 25 Euro die Stunde (das nennt sich dann: „Entgeltordnung für die Nutzung kommunaler Sporthallen und Sportfreianlagen“). Macht am Tag 600 Euro. Gehen wir mal davon aus, dass unser Stadion (zu dem übrigens eine große gehört) wenigstens zehn Turnhallen wert ist, stehen uns allein an Miete etwas über 2 Millionen Euro jährlich zu. Geradezu unsittlich mutet das Kaufangebot an, wenn man weiß, dass wir im Jahr 2010 insgesamt 5 Millionen berappen, um den Nachwuchs von Energie vernünftige Trainingsbedingungen zu schaffen und dazu weiß, dass alle anderen Sportvereine im Rahmen des Haushaltssicherungskonzeptes gezwungen werden, ihre Plätze selbst zu erhalten. Wenn bei Victoria Cottbus Bäume gefällt werden, sammeln die Eltern der Jungfußballer Geld, kaufen neue und pflanzen die mit ihren Kindern. Was vernünftig, löblich und ein bisschen ungerecht ist. Zurück zum Stadion der Freundschaft. Das geben wir gerne her. Mindestangebot 10 Millionen Euro. Wie die für den Käufer wieder rein kommen, plärrt er ja schon lauthals: Vermarktung des Namens.

Noch was? Ja. Nicht zum Prüfen, zum Lästern. Eine nicht mal mehr zum Sonderpostenmarkt taugliche, angerostete Blechbüchse im Gallinchener Wald Kunsttempel zu nennen, kommt meiner Art von Humor ziemlich nah. Aber leider beschleicht mich der gleiche Verdacht wie vor Jahren schon, als die Kunstfabrik Thiel uns glauben machen wollte, originäre regionale Kunst auszustellen und verkaufen zu wollen. Der Verdacht? Es geht gar nicht um die Laienschaffenden. Und mehr ist es selbst bei wohlwollender Betrachtung ja nicht. An sich unverkäuflich. Geht vielmehr um persönliche Interessen. Na, wenigstens haben sie hier ein karikatives Mäntelchen, wer da kauft, hilft gleich mehreren. Interessierte sollten sich beeilen, ich bin mir sicher, dass uns der „Kunsttempel“ nicht lange erhalten bleibt.

Der Novemberblues …

erwischt mich jährlich aufs Neue. Der Maiblues auch, nur ist das Ausgangsthema da ein hormonelles. Von der persönlichen Konstitution her und mehr noch von der Profession – denn wohl jeder Dichter, jeder vom denkenden Fach fragt sich regelmäßig, was wir hier eigentlich so treiben – neige ich zu Depressionen. Im Großen mit E.M.Cioran „Wir haben sämtliche Wahrheiten gegen uns. Aber wir setzen unser Leben fort, weil wir sie einfach hinnehmen und uns weigern, die nötigen Schlüsse zu ziehen.“ Im Kleinen, Allgemeinen mit der üblichen Jammerei: Bald wird der Herbst schon fast zum Winter. Kälte, grau. Nichts gelingt. Was sicher schien, verschwimmt im Nebel. Ich finde gewöhnlich deftigere Worte für dieses Gefühl, das Hermann Hesse so melancholisch beschreibt: Jede Blüte will zur Frucht / jeder Morgen Abend werden / Ewiges ist nicht auf Erden / als der Wandel, als die Flucht

Ein erster (Abwehr)Reflex ist immer: Mehr von der Medizin, mehr von den Giften, die noch nie geholfen … Aber da man (in diesem Fall ich) sich ja einfangen will, braucht man etwas was einen ermutigt. Und noch ist Oktober, noch scheint die Sonne gelegentlich. Da findet, wer sucht, derzeit einiges in der Stadt.

Am Theater beauftragt Intendant Martin Schüler den Schriftsteller Christoph Klimke, ein Stück über Pückler zu schreiben und engagiert den alten Provokateur – und langjährigen Arbeitspartner des Autoren – Johann Kresnik gleich mit. Auch um zu zeigen, was ein Mehrspartentheater alles kann. Spannend. Im dkw hängt eine sehenswerte Ausstellung, die daher gut besucht wird.

Die Stadtverwaltung, selbst mehr gezwungen als überzeugt, beginnt gegen alles Genöle mit dem Umbau der Bahnhofsstraße. Ich bin sicher, ist die fertig, einspurig, mit Grün und Parkplätzen, kommen auch Gaststätten, Geschäfte wieder. Sauberer, das der aktuelle Zwang, die gesetzliche Forderung, ist sie dann soundso. Einmal vernünftig, wächst unsere Verwaltung gleich über sich hinaus. Sie schloss diesen Monat, nach mehr als dreijähriger Hinhaltetaktik, eine Vereinbarung mit dem Jugendhilfeverein, die den dort tätigen (Stadtentwicklungs)Enthusiasten (der Erhalt des „Strombades“ geht ebenfalls auf ihre Rechnung) die Möglichkeit eröffnet, das hundertjährige Gebäude im Puschkinpark – zuletzt Jugendtreff „comics“, davor Pionierhaus – nun als Familienhaus wieder in Betrieb zu nehmen. Ziel bleibt, Familien – den Kindern, den Eltern – Räume zu öffnen, wo gerade keine sind. Selbst, wenn eine angemessene bauliche Realisierung erst nach 2016 zu erwarten ist. Letztlich eine Privatinitiative von Bürgern, die sicher auch anderes zu tun hätten, dieses städtebaulich wichtige Areal mit ebenso wichtigen Inhalten wieder aufleben zu lassen. Das große Interesse ringsum, von Familien, Vereinen – zu besichtigen beispielsweise während der „Nacht der kreativen Köpfe“ – möge es ihnen danken.

Ein kleines Stück nördlich vom Familienhaus beginnt mit dem erfrischenden Informations- Kommunikations- und Medienzentrum (IMKZ – früher Unibibo genannt) das Universitätsgelände. Von da aus gehe ich ganz gern die Konrad-Wachsmann-Allee runter. Was hier entstanden ist in den letzten Jahren an Lehrgebäuden, erstklassigen Forschungsstätten… Beeindruckend – ein richtiger Campus. Zusammen mit dem Neubau des Steenbeck-Gymnasiums direkt daneben gleich vier Beispiele sinnvoller, weil notwendiger, Bauinvestitionen. Dazu junge, offenbar hoffnungsvolle Menschen (und da doch schon wärmere Kleidung getragen wird, kann das Wohlwollen nicht allein am Maiproblem – siehe oben – hängen), die interessiert wirken, offen.

Über sechstausend aus 90 Nationen, die meisten davon deutsch – so soll es sein. Von denen wünscht man, dass sie nicht nur ihr Nahfeld sondern auch die Stadt erobern. Nicht vollständig, versteht sich, wir brauchen ja auch noch etwas Platz…

Wenn das alles nicht reicht, leg ich nachts manchmal den Cioran aus der Hand und blättere in einem Buch namens „Bye, bye Lübben City“. Über Gammler und Bluser in der DDR. Bilder, Geschichten schon fast vergessen. Manche, mancher erinnert sich noch an die Unangepassten, mit langen Haaren, Parka, Römern, Hirschbeutel – Sonntag Nachmittag, Ortausgang CB Richtung Werben, auf zum „Stern“. Die glaubten auch, sie hätten ihn – spätestens wenn nachts auf dem Rückweg die Trapo (für Jüngere: eine allseits „beliebte“ Untergattung der Volkspolizei) auftauchte, den Knüppel zog und für Ordnung sorgte. Oder der Meister montags an der Werkbank wartete. Am Ende haben sie doch obsiegt, tanzen und trinken – etwas langsamer jetzt – zu den alten Liedern. Wem, was dass im Großen hilft, lasse ich mal außer Acht und freue mich an Ausdauer, Unbeirrtsein der Guten.

Jedenfalls lassen die vielen kleinen Dinge, die den Rest der Stadt erträglicher machen  mir vor dem grauen November noch Platz für Verse, für Hoffnung nach morgen hin:  Nach dem Winter  / Erste warme Tage / spendieren uns eine Ahnung / von Kraft die Idee zu / Neubeginn & Heitersein / Gesichter Fenster Türen / die seit Herbst verschlossen / sind wieder offen

Bis dahin – wahrscheinlich. Ganz sicher bis nächsten Monat hier.

Die Debatten werden heftiger…

… was nicht schaden kann, steigen doch so Erlebnis- wie Erkenntniswert, kommt etwas Schwung in Veranstaltungen, Presse, Öffentlichkeit.

Der tiefere Grund für die Diskussionen über Soziales, Wirtschaft, die Frage: Wie soll unsere Gesellschaft aussehen, ist die These: Das Geld ist alle. Stimmt natürlich nicht. Wir können ja neues drucken oder uns welches borgen. Ein Scherz. Mit den Verträgen zur Stabilität des Euro haben wir diese Türen zugeschlagen. Sinnvollerweise. Stimmt nicht, weil Geld noch immer ein Äquivalent, ein Tauschmittel (und zwar ein transaktionsdominierendes) ist. Die Frage ist bloß, was wir gegen das vorhandene Geld eintauschen. Da die Angebote die Möglichkeiten übersteigen, verschärfen sich die Verteilungskämpfe. Weltweit. In Europa – Beispiel Agrarsubventionen; Griechenland hatten wir an dieser Stelle schon.

In Deutschland. Da zählt bei Atomkraftwerken plötzlich nicht mehr Sicherheit sondern Rentabilität, wird – seltener Vorgang –ein zwischen Bundesregierung und Industrie bereits rechtsverbindlich geschlossener Vertrag wieder aufgemacht, was den Energiekonzernen zusätzliche Gewinne (ohne Verlängerung der Laufzeit sind es bei RWE nur 8 Milliarden Euro in diesem Jahr) von 4,1 Milliarden Euro beschert. Jährlich. Nach Abzug der Brennelementesteuer. 4 mal 4 macht 16, da ist es hoffentlich ein Zahlenspiel, kein kausaler Zusammenhang, dass gleichzeitig Kürzungen bei der Arbeitsförderung von 16 Milliarden bis zum Jahr 2014 beschlossen wurden. Nun will ich nicht jede „Maßnahme“ – wie es so unschön heißt – der Arbeitsförderung verteidigen (und schon gar nicht, dass die Hauptgewinnler auf diesem Sozialmarkt die Gewerkschaften sind) … aber die Tendenz, wer sich derzeit in den Verteilungskämpfen durchsetzt, wird deutlich.

In Brandenburg greift das klamme Land den eigenen Universitäten in die Taschen, weil die beim Geldausgeben zu langsam waren. Muss beim Sparen – derzeit hat Brandenburg einen Jahresetat von 10 Milliarden Euro, bald werden es nur noch 8 sein – notwendigerweise sogar die bisher sakrosankte Polizei einbeziehen. Was deren Standesvertreter naturgemäß zur Abwehrhaltung und leider wirren Ideen führt. Die Gewerkschaft der Polizei organisiert eine Volksinitiative gegen die Polizeireform. „Mensch, Beamte“, möchte man da sagen, „so geht’s doch nicht. Es ist einfach unanständig, wenn eine Berufsgruppe – egal ob Bauern, Industriearbeiter, Lehrer, Sozialberufler, Ärzte – Unterschriften für sich selber sammelt. Das muss doch die Kundschaft tun. Falls sie deren Meinung ist.“

Auch in Cottbus haben wir Kurioses zum Thema. Dass die Stadtkasse leer, das Tafelsilber verscherbelt, der laufende Betrieb ungedeckt, ist bekannt. Es gibt Vorschläge, wie in Zukunft weniger für die gleiche Leistung ausgegeben werden könnte. Beispielsweise beim Transport der Bevölkerung von Ort A nach B. NICHT DIE STRASSENBAHN!, schreien ein paar Bürger auf, organisieren 10.000 Unterschriften und zwingen Politik wie Verwaltung von der vernünftigen Idee der (Elektro)Busbeförderung zu lassen. Ich bin gespannt, was passiert, wenn an künftigen Stimmenfangsammellisten ein Dauerauftrag hängt: „… Zur Finanzierung unser Straßenbahn spende ich jährlich 100,00 Euro …“. Das wäre die logische Folge: Der Souverän entscheidet und wenn kein anderer (Stadt, Land, Bund, EU) mehr da ist, auf den er zeigen kann, zahlt er für die Erfüllung seiner Wünsche selbst. „Buh“, hör ich, „wie unsozial, der will doch die Armen, die sich den Hunderter nicht leisten können, von einer demokratischen Meinungsbildung, Beteiligung abhalten.“ Ach was. Arbeitsleistungen werden auch genommen. 5 Euro Hilfsarbeiten, 8 Euro die Fachstunde – wie bei der Finanzierung von Kindertagesstätten oder Horten in vielen Teilen des Landes. Ich weiß, so wird’s nicht kommen, soll’s auch nicht; bin mir aber sicher, dass es, müssten sie sich tatsächlich beteiligen (Empowerment heißt die entsprechende Strategie der Stadtentwicklung), ganz schnell ganz Vielen ganz egal wäre ob sie Bus oder Bahn fahren.

Wenn man im September 2010 zu heftiger werdenden Debatten schreibt, führt natürlich kein Weg an Thilo Sarrazin vorbei. Damit also auch ich mich zu einem Buch geäußert habe, das ich nicht gelesen ( wer einmal einen Fachvortrag des damaligen Berliner Finanzexperten erlitten hat, mit vielen, vielen Folien voller Zahlen, dem graust´s bei dem Gedanken an über 400 Leseseiten – ich nahm wie die Meisten also die Kurzform): Bestandsaufnahme weitgehend korrekt; Lösungsvorschläge ebenso und bereits bekannt; Umgang seiner Klasse mit Sarrazin stillos; Vorwurf an ihn: Als Senator hat er Geld auch da gestrichen, wo er´s heute gerne sehen will (in Schulen beispielsweise). Sorge macht mir, dass es in der Debatte mehr um die Personalie, als um die behandelten Themen geht, denn der Querulant wird mit den bewährten Mitteln bald niedergekämpft und vergessen sein, die Probleme aber bleiben.

Noch mehr Sorge bereiten mir allerdings Stimmen, die eine Abkehr von der europäischen Gemeinschaftswährung ins Spiel bringen. Darum sollte sich der Vorstand der Bundesbank kümmern. Nicht, dass wir beginnen, Gerüchte die man neuerdings so hört („unter dem Siegel der Verschwiegenheit … ich weiß es aus erster Druckerhand … in der Bundesdruckerei drucken sie wieder D-Mark…“) noch zu glauben. Denn davon wird das Geld auch nicht mehr.